Wernersdorf – eine Familienchronik

Hagen Hartmann war 4 Jahre alt, als seine Eltern aus Breslau flüchteten. Den früheren Familienbesitz im schlesischen Wernersdorf kannte er nicht mehr. Doch im Familienverbund lebten die Erinnerungen an das Schloss weiter – und irgendwann bekam das Ärztepaar Hartmann die Gelegenheit, das verfallene Anwesen zurückzukaufen. Das änderte ihr Leben radikal.

Fast zehn Jahre dauerte es, bis aus der verfallenen Wernersdorfer Bleiche im heutigen Pakoszów ein elegantes Schlosshotel wurde. Hätte man anfangs geahnt, welche Arbeit mit der Sanierung des Hauses verbunden war, hätte man vielleicht von dem Projekt Abstand genommen, meint Ingrid Hartmann rückblickend. Doch heute überwiegt die Freude an dem, was die Familie gemeinsam geschaffen hat. Ingrid Hartmann schwebte ein Hotel vor, in dem sie sich selbst wohlfühlen würde. Und weil ihr das gelungen ist, fühlen sich auch ihre Gäste aus Polen, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern wohl und vergeben Höchstnoten in den Bewertungsportalen.

Mehr als zwei Jahre lang besteht das Schlosshotel und seitdem führt das Ärztepaar zwei Leben. Eines im saarländischen Homburg, das zweite in Pakoszów. Im Schnitt eine Woche im Monat verbringt Ingrid Hartmann dort. „Wären nicht die Kinder und Enkel, dann würde ich ganz hier bleiben“, meint sie, denn jedes Mal falle ihr der Abschied von Pakoszów schwer. Doch inzwischen hat auch einer der Söhne im Hirschberger Tal Fuß gefasst. Christoph Hartmann, ehemals Wirtschaftsminister des Saarlandes, kümmert sich jetzt ebenfalls um die Entwicklung des Schlosshotels und pendelt zwischen Deutschland und Polen.

In den zehn Jahren habe sie keine schlechten Erfahrungen in Polen gemacht, meint Ingrid Hartmann, erlebt die Menschen dort als sehr herzlich und offen. Häufig bedankten sich polnische Gäste sogar bei ihr, dass sie ein so schönes Hotel in Polen aufgebaut habe. Ganz gerührt erlebte sie, wie eine Gruppe des örtlichen Kindergartens mit einem selbstgebackenen Kuchen ins Schloss kam und sogar ein Lied in deutscher Sprache sang. Im Gegenzug bedankte sich die Familie mit Paketen zum Weihnachtsfest.

Der Charme der alten Gemäuer und der barocke Prunk des Festsaals verbinden sich in Wernersdorf hervorragend mit einem modernen, schnörkellosen Design und klaren Formen. Das Schlosshotel überrascht mit ungewöhnlichen Lösungen wie freistehenden Badewannen in einigen Designerzimmern. Wie es sich für Saarländer gehört, legt die Familie höchsten Wert auf ein gutes Essen. Ein Sternekoch aus ihrer Heimat gab dem Restaurant den Feinschliff. Am Herzen liegt ihnen auch die Förderung des künstlerischen Nachwuchses und so finden junge Musiker aus Deutschland und Polen dort die passende Bühne für ihre öffentlichen Auftritte. „Das Hotel würde in diesem Stil auch am Rhein angenommen“, ist sich Hagen Hartmann sicher. In Pakoszów erfreut es sich wachsender Beliebtheit von Stammkunden, die den weiten, unverbauten Blick, den großzügigen Park und die Nähe zum Riesengebirge genießen.

Für Hagen Hartmann ist Pakoszów auch eine späte Rückkehr zu den Wurzeln der Familie. Seine Vorfahren zählten zu den bedeutendsten Schleierherren – so nannten sich früher die wohlhabenden Leinenhersteller im Hirschberger Tal. Die Wernersdorfer Bleiche diente einerseits der Herstellung von Leinen und beherbergte zugleich die Wohn- und Gesellschaftsräume der Familie. Der Preußenkönig Friedrich II., der spätere US-Präsident John Quincy Adams, der Dichter Klopstock und der Riesengebirgsmaler Reinhardt waren dort zu Gast.

Margarethe Drewes, die Großmutter von Hagen Hartmann, starb zwei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in Wernersdorf und wurde in der Familiengruft an der Hirschberger Gnadenkirche beigesetzt. Ihre Tochter Margarethe hatte einen Breslauer Chefarzt geheiratet und flüchtete mit ihm und ihrem vierjährigen Sohn Hagen 1945 nach Westen. 60 Jahre später kauften Ingrid und Hagen Hartmann den Familienbesitz zurück. Und Christoph Hartmann führt das Erbe der Familie fort. Mit der polnischen Sprache hat er sich bereits angefreundet und an Plänen für den weiteren Ausbau des Hotels mangelt es ihm nicht.

Informationen über Schloss Wernersdorf unter www.schlosshotel-wernersdorf.de Allgemeine Informationen über das Hirschberger Tal unter www.talderschloesser.de

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